675 Jahre Stadt Gau-Algesheim

Die Zeugnisse über Alagastesheim und Bergen (Laurenziberg) in den Güterlisten der Klöster Lorsch und Fulda seit 766/67 erlauben Rückschlüsse auf Ackerbau, Viehzucht, Weinbau und Obstbau sowie den Wohlstand einzelner Bewohner. Sichtbar in die Geschichte tritt Gau-Algesheim mit den anderen Orten des Binger Landes am 14. Juni 983, als Kaiser Otto II. in Verona seinem Mainzer Erzkanzler Willigis die Stadt Bingen und die Landschaft schenkt, die „sich diesseits des Rheines von der Brücke über die Selzbach erstreckt bis nach Heimbach, jenseits des Rheines aber von der Stelle, wo das Elzbächlein in denselben fließt, bis zu dem Dörflein Caub.“

Die beiden Stadtrechtsverleihungen, 1332 auf Bitten des Mainzer Administrators Balduin durch Kaiser Ludwig den Bayern (s. Heimatbeilage 2/2007) sowie 1355 in Pisa durch König Karl IV. zu Gunsten des Mainzer Erzbischofes Gerlach, sind primär politisch-militärisch motiviert und sollen erst in zweiter Linie die Sicherheit und den Wohlstand der Stadtbewohner befördern. Dennoch lassen gerade die Entstehung eines Wochenmarktes und eines Weinmarktes sowie die Existenz einer stattlichen Zahl von Handwerkern und Kaufleuten erkennen, daß städtisches Leben Angebot und Nachfrage für regelmäßige Märkte schafft. Schließlich steht über 400 Jahre, von der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts bis zum Ende des Alten Reiches, das Amt Algesheim unter dem Regiment von Amtmännern, Landschreibern, Amtskellern und Schultheißen des Mainzer Erzbischofs.

Von 1797-1815 gehört Gau-Algesheim mit dem gesamten linksrheinischen Gebiet zur Französischen Republik bzw. zum napoleonischen Kaiserreich. In der Person des Wissenschaftlers, Ingenieurs und Offiziers Rudolf Eickemeyer, der 1811-13 und 1814-15 als Maire und von 1815-22 als Bürgermeister an der Spitze der Stadt steht, gewinnt Gau-Algesheim eine personelle Kontinuität von der französischen zur hessischen Zeit und einen Mann voller Ideen und Tatkraft, so dass die schädlichen Folgen von Krieg, Annexion und Besatzung rasch beseitigt werden. Rudolf Eickemeyer gibt durch die Neuordnung des Brandschutzes, die Sanierung der Finanzen, die bauliche Erweiterung der Stadt sowie durch die Förderung des Schulwesens und der Landwirtschaft dem Gemeinwesen eine moderne Gestalt, die es von vergleichbaren Orten der näheren und weiteren Umgebung abhebt.

Auch die Spuren, die der katholische Pfarrer Peter Koser von 1869-1890 in Gau-Algesheim hinterlassen hat, sind bis in die Gegenwart wahrzunehmen. Der von der Druckerei Reidel erstmals 1869 herausgegebene und von Pfarrer Koser reaktionell betreute "Rheinische Volksbote" ist über Jahrzehnte ein regional bedeutendes Sprachrohr der katholischen Zentrumspartei. Eine Präparanden-Anstalt, von den Einheimischen "Lateinschul" oder "Aljesemer Hochschul" genannt, und eine Kinderbewahranstalt, ein Credit- und Sparverein auf genossenschaftlicher Basis sowie ein Bauern- und Konsumverein, und nicht zuletzt der Neubau der Katholischen Pfarrkirche und die Gründung einer Kirchenmusik im Jahre 1888 belegen das religiöse und gesellschaftspolitische Engagement von Peter Koser in einer Zeit politischer und weltanschaulicher Kämpfe.

Noch in der Reichstagswahl vom 5. März 1933 zeigt sich die katholische Prägung der Stadt. Das Zentrum behauptet sich mit 46,6% als stärkste Partei gegenüber der NSDAP mit 26,6% (SPD 16,2%, KPD 6,9 %). Nach der Auflösung bzw. dem Verbot der demokratischen Parteien und kirchlichen Verbände sowie der "Gleichschaltung" der Vereine werden Gegner des Nationalsozialismus auch in Gau-Algesheim zunehmend isoliert und eingeschüchtert. In den Auseinandersetzungen um das Reichskonkordat zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan werden Mitglieder des Zentrums, aber auch zwei Sozialdemokraten, als Separatisten und Vaterlandsverräter diffamiert, ins Konzentrationslager Osthofen eingeliefert. Bei Kriegsende müssen den ca. 80 Toten und Vermissten des Ersten Weltkrieges weitere ca. 200 Tote, Ermordete und Vermisste hinzugefügt werden.


Die Feier des 600. Jahrestages der Stadterhebung im Sommer 1955 bildet Höhepunkt und zugleich Abschluss der Phase des Wiederaufbaus und der Restauration der traditionellen Strukturen. Die Straßenbrücke (B 41) über die Bahnlinie (1957), die Radsporthalle (1960), der neue katholische Kindergarten (1961) sowie die Erweiterung des Albertus-Hospitals (1962) und der Volksschule (1963) verändern innerhalb weniger Jahre das Gesicht der Stadt. Mit dem Umzug der Stadtverwaltung vom Rathaus am Marktplatz ins Schloss Ardeck kündigen sich 1969 die Folgen der Verwaltungsreform an, zu deren Ergebnissen der Regierungsbezirk Rheinhessen-Pfalz (1968), der Landkreis Mainz-Bingen (1969) und die Verbandsgemeinde Gau-Algesheim (1972) ebenso gehören wie Neubauten der Schloss-Ardeck-Grundschule (1979), der Schloss-Ardeck-Sporthalle (1981) oder der Regionalen Schule Christian Erbach (2003).

Die Reihe der Partnerschaften wird 1964 mit Saulieu/Côte d'Or begonnen. Nach einem Treffen der beiden Bürgermeister reist eine Gruppe der Katholischen Jugend zu einem Zeltlager nach Burgund. Auch die Verbindungen zu Caprino Veronese, Redford in Michigan oder zu Neudietendorf und Erfurt-Stotternheim in Thüringen beginnen stets als Kontakte Einzelner oder von Gruppen, ehe die offiziellen Verbindungen geknüpft werden. Für die engagierte Pflege der Partnerschaftspflege wurde Gau-Algesheim 1994 durch den Europarat mit dem Europadiplom und 1995 mit der europäischen Ehrenfahne ausgezeichnet. Im Jahre 2002 erfahren die vielfältigen Anstrengungen der Stadt und ihrer Bürger durch die staatliche Anerkennung als Fremdenverkehrsgemeinde eine wichtige Unterstützung. Seit Ende 2005 ist das neue regionale Erlebnisbad "Rheinwelle" an der alten B 9 auf Gau-Algesheimer Gebiet geöffnet. Es wird gemeinsam von Gau-Algesheim, Ingelheim und Bingen betrieben.  

 

Radwandern rund um Gau-Algesheim

Gau-Algesheim wird umgetauft

Nachdem es im Jahre 1968 unseren Nachbarn misslungen war, Ingelheim und Gau-Algesheim zu vereinen und der Stadt den neuen Namen Ingel-heim zu geben, haben ortsfremde Personen einen neuen Anschlag verübt. Sehen Sie selbst ...

Martin Hassemer (1912-85): Gau-Algesheim, wie schön bist Du!

Aus dem "Festlichen Nachmittag" am 17. Juli 1955 

 

Wenn Du an einem Sommerabend im leisen Wind am Berge sitzt,

und späte Sonne über Höhen noch einmal auf das Städtchen blitzt,

wenn müde Klänge aus den Gassen gedämpft an Dir vorüberweh'n,

und wenn am Rhein im letzten Schimmer die ersten hellen Lichter steh'n,

dann fühlst Du in der Abendruh': Gau-Algesheim, wie schön bist Du!

 

Du musst die Winkel und die Gassen in stiller Stund' zur Sonntagszeit

besuchen und sie plaudern lassen, von Alter und Vergangenheit.

Sie sind so klein und so bescheiden, kein Kunstwerk - aber so vertraut -

weil unsre Alten sie vor Zeiten mit Fleiß und Liebe hingebaut,

dann spürst Du in der Sonntagsruh': Gau-Algesheim, wie schön bis Du!

 

Wenn Du an jungen Frühlingstagen durch Wald und Flur der Heimat streifst,

wenn Baum und Strauch in Blüten prangen und Du den Herrgott ganz begreifst,

wenn jeder Ast den weißen Schleier voll zarter Düfte um Dich legt,

und die Natur in allen Zweigen sich voller Lust und Stärke regt,

Dann weht Dir jeder Windhauch zu: Gau-Algesheim wie schön bist Du.

 

Du musst, wenn alle Blätter leuchten, im Herbst in einen Wingert geh'n,

musst reife Trauben an den Reben und buntes Laub dazwischen seh'n.

Du musst den jungen Wein probieren und Dich am alten Tropfen freu'n,

im Keller musst Du unter Zechern am grünen Fass gewesen sein,

dann spricht Dir jedes Gläschen zu: Gau-Algesheim, wie schön bist Du!

 

Wenn Du mit lieben, treuen Freunden zusammen aufgewachsen bist,

und Freud und Leid aus vielen Stunden für immer Euch gemeinsam ist,

wenn Eure Sprache, Eure Lieder Euch immer wieder neu erfreu'n,

dann kann es nur in Lieb' und Treue zu Eurem Heimatstädtchen sein.

Denn jeder Laut spricht es Dir zu: Gau-Algesheim wie schön bist Du.

Du herrlich Land am sonnigen Rhein, Gott segne Dich, Gau-Algesheim.