Eine schwierige Liebe

Ich habe es in mein Herz geschlossen, so wie es da steht am Straßenrand: Ein Herrenrad Marke Diamant, ein sehr altes Modell und einst bestimmt ein Schmuckstück, jetzt aber schmutzig und voller Rostflecken, die einst glänzenden Speichen matt vor Dreck, die Reifen fast luftleer, angekettet mit einem billigen Fahrradschloss an einen Metallbügel bei einem Baum, den Launen des Wetters und dem weiteren Verfall preisgegeben, aber noch nicht verloren und gewiss wieder herzurichten.

Seit bestimmt schon zwei Jahren komme ich immer wieder vorbei an dem Rad, das sein Besitzer offensichtlich aufgegeben hat. Jetzt soll es endlich sein, nehme ich mir vor, jetzt will ich endlich versuchen, dieses Fahrrad vor der weiteren Verwitterung und der Schrottpresse zu retten.

Erster Versuch: Ein Anruf beim Ordnungsamt Tempelhof-Schöneberg. Bereitwillig hört sich der dort Erreichte mein Anliegen an. „Tja, nicht ganz einfach“, sagt er. Und nach einigem Schwadronieren über die Komplexität meines Plans: „Da ist die Polizei zuständig, am besten mal das Bürgertelefon anrufen, nicht die Notrufnummer.“ Das klingt zielführend, denn „für alle Fälle, in denen Bürger Rat zu polizeilichen Fragen suchen, steht das Bürgertelefon der Polizei Berlin rund um die Uhr zur Verfügung“, wie es auf der Website heißt.

Also wähle ich 4664 4664. Langes Klingeln, niemand nimmt ab. Auch nicht beim zweiten Versuch. Auch nicht beim dritten. Zwei Tage lang versuche ich mein Glück, immer wieder. Vergeblich, rund um die Uhr keine Antwort. Also ein Anruf direkt bei der zuständigen Polizeiwache. Wieder trage ich mein Ansinnen vor. „Einfach das Schloss knacken und das Rad mitnehmen, das geht nicht, da würden Sie sich strafbar machen“, klärt mich der Beamte auf. (Schon klar, wollte ich als braver Bürger ja auch nicht.) Aber ich sollte einfach mal, wenn ich an dem begehrten Rad stehe, die Polizei dazu rufen, vielleicht ließe sich da was machen, man könnte das vielleicht als Fundsache regeln, auf die ich dann als Finder Anspruch erheben könnte. Das sei jedoch nur eine Idee, gibt er mir zu verstehen, keineswegs der polizeilich empfohlene Weg bei solchen Fällen.

Dank sagend, aber nicht ganz überzeugt lege ich auf. Einfach an das Rad stellen und eine Polizeistreife herbeirufen, damit wir irgendwie einen Weg finden, wie ich in den Besitz des vergammelnden Fahrrads kommen kann? Haben die nichts Wichtigeres zu tun? Doch ich habe Glück. Auf dem Weg zum Einkauf steht ein Polizist am Straßenrand, der das Abschleppen eines falsch geparkten Autos beaufsichtigt. 150 Meter vom Diamant-Rad entfernt! Höflich spreche ich den Polizisten an, schildere mein Begehr und erwähne auch den Rat seines Kollegen von der Wache. Verwunderung: „Das hat der gesagt? Aber bei sowas ist das Ordnungsamt zuständig.“ Aber die haben mir doch gesagt, die Polizei… „Ja, das sagen die immer.“

Mittendrin im Ping-Pong der Zuständigkeiten. Also doch wieder das Amt fragen. Ich entscheide mich für eine Meldung bei Ordnungsamt-Online, dann haben die mal was Schriftliches. Standort des Fahrrads angegeben, ein Foto dazu und unter „Beschreibung“ mein Anliegen geschildert, Name, Anschrift und Rufnummer dazu, Dank und Grüße nicht vergessen. Zum Schluss das angezeigte Captcha ausgefüllt, damit die beim Ordnungsamt „sicherer wissen“, dass ich ein Mensch und kein Roboter bin, und abgeschickt das Ganze.

Schnell habe ich eine Antwort in meinem Mailfach. „Status: In Bearbeitung“ heißt es da. Hoffnungsvoll lese ich weiter. „Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr, vielen Dank für Ihren Hinweis. Der Allgemeine Ordnungsdienst (Außendienst) führt, bei entsprechender Personalstärke, mehrmals jährlich, in Zusammenarbeit mit der Polizei und der BSR, eine "Schrottradaktion" durch. Bei dieser werden alle dem Ordnungsamt gemeldeten Fahrradwracks auf öffentlichem Straßenland entfernt, die mit einer Beseitigungsaufforderung, dem sogenannten "Gelbpunkt", versehen wurden. Mit freundlichen Grüßen Ihr Ordnungsamt Tempelhof-Schöneberg von Berlin

Fahrradwrack? Schrottradaktion? Ob da überhaupt jemand meine Meldung gelesen hat? Hat da jemand beim Amt auch eine Captcha eingegeben, damit ich sicher sein kann, dass sich da ein Mensch und keine Antwortmaschine um mein Anliegen gekümmert hat? Ich zweifele. Wahrscheinlich sind Fahrrad-Retter behördlich nicht vorgesehen. Schade. Nicht nur um „mein“ Diamant-Rad. Foto: Kai Portmann